Im Mund wird´s bunt

Teenager tragen ihre peppige Zahnspange heute so selbstverständlich wie ihre Jeans.

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Eltern / family 03.2006

Im Mund wird´s bunt

Teenager tragen ihre peppige Zahnspange heute so selbstverständlich wie ihre Jeans. Das ist gut so, denn ebenmäßige Zähne sind nicht nur schön, sie sind auch wichtig für die Gesundheit, weiß EF-Autorin Doro Kammerer.

Richtig benachteiligt fühlte sich mein Sohn Tobias, als sowohl sein großer als auch sein Zwillings-Bruder eine Zahnspange bekamen. In Tobias‘ Mund fand unsere Kieferorthopädin einfach keinen Behandlungsbedarf. Er gehört zu den Kindern, die von der Natur nicht nur mit geraden Zähnen, sondern auch mit einem perfekten Zusammenspiel zwischen oberer und unterer Zahnreihe beschenkt worden sind. Tobias war darüber gar nicht glücklich, schließlich hatten doch alle anderen eine Spange! Tatsächlich brauchen etwa 80 Prozent aller Kinder eine mehr oder weniger aufwändige kieferorthopädische Regulation. Und bei vielen erkennen nur Fachleute, dass eine solche Korrektur notwendig ist. So ist in den letzten Jahren zu Unrecht der Eindruck entstanden, die eine oder andere Spange sei so etwas wie der erste Schritt in den Schönheitswahn. Die vermeintliche Spangen-„Mode“ ist vielmehr ein Ausdruck dafür, dass Eltern heute besser informiert sind. Auch die Diagnose-Möglichkeiten sind genauer, und die Folgen von Fehlstellungen (zum Beispiel Gesichts-, Kopf- und Rückenschmerzen, vorzeitiger Zahnausfall) sind bekannter.

Was nicht passt wird passend gemacht!

Selten steht in einem Kindermund nur ein einzelner Zahn schief, häufig passen die Kiefer nicht aufeinander und/oder die Zunge hat nicht den Platz, den sie braucht.

Die häufigsten Fehlstellungen, die auch kombiniert auftreten können:

  1. Der zurückliegende Unterkiefer: Die Oberkieferfrontzähne stehen weit vor den vorderen Unterkieferzähnen.
  2. Der vorstehende Unterkiefer: Die unteren Schneidezähne beißen vor die Oberkieferzähne.
  3. Der Engstand: Die Zähne stehen nicht in Reih und Glied, sondern schief und verschachtelt.
  4. Der offene Biss: Die Seitenzähne treffen sich beim Zusammenbeißen, die Frontzähne nicht – hier bleibt eine Öffnung.
  5. Der Kreuzbiss: Der Oberkiefer ist schmaler als der Unterkiefer normalerweise ist es umgekehrt. Das Kind muss den Unterkiefer nach links oder nach rechts verschieben, um richtig zubeißen zu können.

„Leider warten viele Eltern, bis ein Zahnarzt den Rat des Kieferorthopäden für notwendig hält“, sagt Dr. Werner Schupp, Kieferorthopäde in Köln. „Das ist manchmal ziemlich spät. Um Kinder rechtzeitig behandeln zu können, haben Kieferorthopäden Kinderärzten einen Leitfaden zur kieferorthoädischen Diagnose an die Hand gegeben. So sind die Untersuchungen der Kiefer- und Zahnstellungen seit einigen Jahren im gelben U-Heft aufgenommen und werden im dritten, fünften und siebten Lebensjahr durchgeführt.“ Der Münchner Kieferorthopäde Dr. Guntram Wetzel appelliert an die Eltern: „Für eine Beratung ist es nie zu früh. Wenn die ersten bleibenden Zähne durchbrechen, können wir die Situation recht gut beurteilen und haben ausreichend Zeit für eine sinnvolle Therapie.“

Jede Spange ist Maßarbeit

Es gibt Hunderte von Möglichkeiten, unter denen ein Kieferorthopäde genau die richtige für ein Kind wählt. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen festsitzenden und herausnehmbaren Apparaturen. Funktionskieferorthopädische Geräte, mit denen man das Kiefer-Wachstum beeinflussen kann, sind herausnehmbar.

HERAUSNEHMBARE SPANGEN

Gebilde aus Edelstahldraht und Kunststoff, die über die Zahnreihen geschoben werden. Sie werden eingesetzt, um einzelne schiefe oder gedrehte Zähne zu begradigen oder um den Oberkiefer auszuformen. Herausnehmbar sind auch so genannte Aligner, die aussehen wie die durchsichtigen Knirscher-Schienen, aber aus dünnerem und elastischerem Material bestehen. Gedacht ist diese Invisalign-Therapie für alle diejenigen, die eigentlich eine festsitzende Spange brauchen, aber keine wollen – und das auch bezahlen können (zwischen 3000 und 6000 Euro für nicht privat Versicherte). Ein einzelner Behandlungsabschnitt dauert zwei Wochen, danach ist der nächste Therapieschritt dran und damit eine neue Schiene. Deren jeweilige Form hat ein Computer exakt berechnet. Dauer der Therapie: sechs Monate bis zwei Jahre.

FESTSITZENDE ZAHNSPANGE 

Festsitzende Zahnspangen werden dann eingesetzt, wenn die Zähne mitsamt ihrer Wurzel bewegt werden müssen, also bei starken Engständen, Kippungen oder Überlappungen. Die meisten kennen die so genannten Multibandapparaturen, bei denen auf jedem Zahn ein Silberplättchen (= Bracket) sitzt. Die modernen Brackets sind relativ klein und auch zahnfarben zu haben. Sie werden mit speziellen Klebstoffen – manche von ihnen setzen zum Schutz der Zähne Fluoride frei – fixiert und dann zunächst mit einem sehr weichen, elastischen Draht untereinander verbunden. Dieser Drahtbogen wird bei den Kontrollterminen erneuert und dabei durch einen jeweils etwas festeren ersetzt. Ein herausnehmbar/fester Zwitter ist der Headgear, ein nicht besonders beliebtes Gerät, das einem Kopfgeschirr mit Mundstück ähnelt. Man sieht es in der Öffentlichkeit nur selten, weil es meist nicht mehr als zwölf Stunden am Tag getragen werden muss. Diese Zahnspangen entwickeln die größten Kräfte, weil sie sich gewissermaßen am Kopf abstützen. An ihnen geht beispielsweise dann kein Weg vorbei, wenn andernfalls ein bleibender Zahn gezogen werden müsste.

STABILISIERUNGSSPANGEN (RETAINER)

Wenn das Gebiss seine Idealposition erreicht hat, darf man sich nicht zu früh freuen. Ganz ohne Spange geht es jetzt noch nicht. Nun kommt die Stabilisierungszeit, die in der Regel länger dauert als die aktive Behandlungsphase. Die neue Zahn- und Kieferstellung lehnt der Körper nämlich erst einmal als „fremd“ ab. Ungestützt würden die Zähne in die alte Fehlstellung zurückwandern. Der Retainer ist in aller Regel herausnehmbar und wird zunächst rund um die Uhr getragen, später nach Anweisung des Kieferorthopäden immer seltener. „Am Ende der Therapie empfehle ich meinen Patienten, den Retainer als Prüfschablone zu verwenden und in regelmäßigen Abständen zu testen, ob das erreichte Ergebnis noch besteht“, so Dr. Guntram Wetzel.

DORO KAMMERER

Fachliche Beratung:
Dr. Werner Schupp, Kieferorthopäde, Köln;
Dr. Guntram Wetzel, Kieferorthopäde, München